TEXTILE FORENSIK

VORWÄSCHE

 

Anleitung zum Umgang mit Obdachlosen

Ein Essay von Jan Markowsky

Ein Problem wird immer sichtbarer: Obdachlosigkeit in Berlin.

Der Wohnungsmarkt hat sich in den letzten 20 Jahren Berlin vom Mietermarkt zum Vermietermarkt entwickelt. Die Mieten steigen, es fehlen Wohnungen für Menschen, die nicht so viel Geld auf dem Konto haben. Der Senat hat in einer Verordnung zur Begründung des Zweckentfremdungsverbots von Wohnungsnot gesprochen. Menschen in prekären wirtschaftlichen Verhältnissen verlieren leichter ihre Wohnung und haben es schwer, eine neue Wohnung zu finden. Menschen ohne eigene Wohnung haben auf dem Wohnungsmarkt in Berlin ganz schlechte Karten. Obdachlosigkeit ist zum großen Teil hausgemacht. Dazu kommen Menschen, die in ihrer Heimat keine Chance haben, in Berlin bei dem Versuch ein Einkommen für sich und die Familie zu finden, gescheitert sind und so in der Obdachlosigkeit landen. Sie haben noch schlechtere Karten auf dem Wohnungsmarkt in Berlin. 

Die systematische Ausgrenzung der beiden Gruppen hat zum massiven Anstieg der Zahl obdachloser Menschen geführt. Genaue Zahlen sind nicht vorhanden. Allein der Umstand, dass in Berlin-Mitte unter jeder Spree-Brücke Menschgen Obdach finden, ist ein deutliches Zeichen. Wenn der Soziallsenator Wort hält, werden wir in absehbarer Zeit belastbare Zahlen haben. Für 2017 hat der Staatssekretär für Soziales Herr Geisel die Zählung Obdachloser versprochen.
Vertreibung hilft nicht.
Obdachlose und Bettler will Niemand haben: Die sollen bleiben wo sie wollen, aber nicht vor meiner Tür. Weg mit ihnen. Nach Vertreibung sind die „Störer“ eine Zeit wie vom Erdboden verschwunden, tauchen nach einiger Zeit an anderer Stelle auf.
Nur: Vertreiben ist keine Lösung. Die „störenden“ Obdachlosen gehen dann woanders hin, werden dort wieder vertrieben und tauchen irgendwann an alter Stelle wieder auf. 

Die Tatsächlichen und vermeintlichen Störungen des Zusammenlebens sind Ausdruck von Ausgrenzung der Menschen. Vertreibung ist harte Ausgrenzung. Wenn Menschen stören ist es besser, mit den vermeintlichen Störern zu reden. Auf Augenhöhe. Von Mensch zu Mensch.

Obdachlose sind nicht alle gleich

Das Leben auf der Straße ist hart. Da bleiben nur Betteln und Saufen und/oder Drogen als Ausweg. Das stimmt und stimmt auch nicht. Tatsache ist, dass viele Obdachlose suchtkrank sind. Aber längst nicht alle. Es stimmt, dass Obdachlose betteln, aber längst nicht alle. Jeder Mensch geht mit der Erfahrung, seine Wohnung zu verlieren, anders um. Die Obdachlosen sind weit weniger gleich, als es auf dem ersten Blick erscheint. Einen Menschen im weißen Hemd und Anzug sehen Sie die Obdachlosigkeit nicht an. Sie sehen nur die suchtkranken Bettler. Längst nicht alle Obdachlosen betteln. Längst nicht alle Obdachlose stören. Längst nicht jeder Obdachlose ist dreckig.

Wenn ein Obdachloser einen psychotischen Schub hat und die Welt anders sieht als wir, dann stört er nicht als Mensch, der keine Wohnung hat. Ihm muss geholfen werden. Ein suchtkranker Obdachloser stört nicht, weil er keine Wohnung hat, sondern, weil er suchtkrank ist. Vertreibung ist keine Hilfe!

Fakt ist, dass suchtkranke Menschen in prekären wirtschaftlichen Verhältnissen viel Zeit für die Beschaffung von Geld für Suchtmittel benötigen. Diesen Menschen Faulheit vorzuwerfen, zeugt von mangender Kenntnis der Lebenswirklichkeit dieser Menschen. Und Obdachlosigkeit ist die schärfste Form prekärer wirtschaftlicher Verhältnisse.

Viele Menschen, die Sie wegen ihres Outfits für obdachlos halten, haben eine Unterkunft oder leben gar in einer eigenen Wohnung. Ein Mensch, der vom Betteln lebt oder auf Betteln angewiesen ist, erhält in abgerissener Kleidung mehr Geld als ein sauber angezogener Mensch, der sich täglich wäscht. Einen Menschen in sauberer Kleidung, mit blank geputzten Schuhen im Anzug und Krawatte sehen Sie Obdachlosigkeit nicht an. Das Bild über Obdachlose wird nicht von den Obdachlosen geprägt, sondern von den Obdachlosen und Menschen in prekären wirtschaftlichen Verhältnissen, die in das verbreitete Klischee passen, weil sie stören.

Wie einem Obdachlosen begegnen?

Wenn Sie einen Obdachlosen begegnen, begegnen Sie einen Menschen.

Begrüßen Sie ihn freundlich, unterhalten Sie sich mit ihm. Auf Augenhöhe. Wenn Sie merken, der Obdachlose ist hilflos, sind Sie verpflichtet, ihm nach bestem Wissen zu helfen. Die Notrufnummern für Rettungsdient und Polizei sind bekannt. In Berlin suchen im Winter die Kältebusse der Berliner Stadtmission und der Wärmebus des DRK Obdachlose in der ganzen Stadt auf. Sie sind telefonisch erreichbar. In anderen großen Städten gibt es ähnliche mobile Hilfsangebote.

Seien Sie auch freundlich, wenn Sie sich gestört fühlen.
Was Sie tun können, ist ein anderes Thema. Darüber werde ich das nächste Mal schreiben. Versprochen.

 

 

Der Text wurde 2016 für die Zeitung strassenfeger verfasst, aber nicht publiziert. (Anmerkung der Redaktion)

Lebenslauf Jan Markowsky

geb: 21.08.2949 in Greifswald
 
Ausbildung
Schulbesuch 1956 bis 1967 polytechnischer Oberschulen in Velten, Leegebruch, Saßnitz Schönebeck/Elbe, im OT Frose mit Abschlup10. Klasse
 
Ausbildung 1967 bis 1970 Chemiefacharbeiter mit Abitur an der Berufsschule des VEB Fahlberg-List Magdeburg
 
Studium chemische Verfahrenstechnik an der Sektion Hochpolymere 1970 bis 1974 an TH Leuna-Merseburg in Merseburg mit Abschluss Hochschulingenieur
 
Berufstätigkeit
1972 – 1976 Mitarbeiter für wissenschaftliche Arbeitsorganisation und  Wechsel als Technologe ins VEB Fernsehkolbenwerk Friedrichshain/Niederlausitz
 
1975 – 1983 Ingenieur im Rationalisierungsdient Gas bei VEB Gasversorgung Berlin und in der Abteilung Gas der Stelle für Rationelle Energieanwendung Berlin beim Energiekombinat Berlin
 1983 – 1984 Mitarbeiter für BMSR-Technik im VEB Metall- und Halbzeugwerke Berlin
 1984 Übersiedlung nach Berlin-West
1984/85 ABM bei Senat für Stadtentwicklung und Umweltschutz im Projekt für SO36
 1986 – 1999 diverse Arbeiten als Energieberater und Ingenieur für Haustechnik freiberuflich und angestellt in Planungsbüros und Perioden der Arbeitslosigkeit
 Mai 1999 -Januar 2000 Mitarbeiter im Planungsbüro für Haustechnik (gefördert durch Arbeitsamt)

Leben ohne Wohnung

 

Januar 2000 Verlassen der Wohnung

April 2000 Einladung von Obdachlosen in den Tagestreffpunkt von Unter Druck- Kultur von der Straße in der Almstadtstraße in Berlin-Mitte. Dort auf Plakat der Theatergruppe Unter Druck gestoßen
 Mai 2000 Teilnahme an erster Probe: Rolle finden.

Absolventinnen des Weiterbildungsgangs Theaterpädagogik an der HdK Berlin hatten das Stück entwickelt

Juni 2000 Premiere „Tod eines Clowns“

2002 offener Brief an Klaus Rüdiger Landowski. Veröffentlichung im Straßenmagazin „strassenfeger“.  Aktion „sozialer Stadtrat“ beim „Offenen Wohnzimmer“  Protest gegen Schließung des Treffpunkts von Unter Druck als 2. Beitrag im „strassenfeger“

bis März 2003 Theaterarbeit bei Unter Druck durch Theaterpädagogin

 bis 2005 diverse Produktionen der Theatergruppe Unter Druck 

2005/06 der sozial-kulturelle Treffpunkt zieht unfreiwillig in den Wedding

2006  erste Premiere „Szenen aus dem Leben“

Seit 2003 wiederholte Zusammenarbeit mit barbara caveng unter anderem in den Projekten ready now, A.R.M-all recyled material und BRACE.

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