Regenbogen-Zehensocken | Unter Palmen
Aïcha Abbadi
KW 21-24
“Iiih, diese Zehensocken, mit so kleinen Fingern, das mag ich gar nicht.”
“Hast du solche schon einmal anprobiert?”
“Nein… Es ist tatsächlich die Ästhetik, die mich stark abschreckt.”
(Gespräch bei der Eröffnung der Dresserie)
Mit dem Leih-Ort “Dresserie” in der Fuldastraße und der Tausch-Installation “En Plein Air” am Körnerpark, während des Festivals 48 Stunden Neukölln, verschwimmen bei Streetware die Grenzen zwischen künstlerischer Intervention und “Kund:innen”-naher Mode-Dienstleistung. Der Austausch mit dem Publikum bewegt sich entlang und gegen vorgefertigter Erwartungen. Dies wird deutlich in der Art, in der die Besucher:innen mit beiden Kontexten interagieren. Die Dresserie, temporär in einer Kunst-Galerie aufgebaut, wird von wiederkehrenden Besucher:innen und Nachbar:innen, welche mit den wechselnden Installationen vertraut sind, als konzeptuelle Arbeit aufgefasst.
Für zufällige Passant:innen ist das Leihkonzept oft noch ungewohnt – sie sind auf der Suche nach einem Schnäppchen. Eine Pastorin verlässt die Dresserie mit silbernen Schnürschuhen. Ein Paar ist sich in modischen Experimenten uneinig – trotz der Möglichkeit der Rückgabe verlassen sie den Ort mit leeren Händen. Ein anderes Paar findet sofort Teile zum Behalten – ein taillierter Blazer, eine fließende Lycra-Hose, lange Bermuda-Shorts in dickem grauen Baumwoll-Jersey. Die Reaktionen zu einzelnen Teilen sind eindeutig: persönliche Vorlieben
sind fest etabliert.
Eine fehlende Bandbreite an Größen wird bemerkbar – die Teile von der Straße fallen oft eher klein aus. Bei “En Plein Air” konnten Nachbar:innen die Lücke füllen und verteilten zum weiteren Tausch große Größen auf die Wäscheständer in der Sonne. Fundstücke der Touren zeichnen ein Bild der Lage – eine Runde in der Mittagshitze bringt eine Spur Kinder-Sonnenmützen hervor. Die Gespräche der Besucher:innen drehen sich um nachhaltigen Konsum, den Wert und die Pflege von Kleidung im Laufe der Zeit – aber auch um Eindrücke der Nachbarschaft selbst.
Eine Ansammlung von Wäscheständern unter Palmen in Neukölln – für manche die gewohnte Nachbarschafts-Atmosphäre, für andere eine Irritation, auf welche weitere Fragen folgen: über Kunst, das Soziale, das Handwerk und das gefundene Objekt.
Die Lumpensammler:innen gehen zwar bewusst auf die Suche, um Kleidung zu finden, doch manchmal erscheint es, als ob es eher die Kleidungsstücke sind, welche die Lumpensammler:innen finden. Während Jule die Wäscheständer von “En Plein Air” sortiert, findet sie das Lieblingsoberteil ihrer Kindheit. Längst nicht mehr in ihrem Besitz, könnte es sich um dessen Zwilling handeln, oder sogar doch um das Ihre, welches den Weg zu ihr zurückgefunden hat? Geschulten Auges erblickt Stella ein Mitarbeiter-Sweatshirt eines Genossenschafts-Supermarktes, welcher unter einem geparkten Auto hervorschaut. Auf einer früheren Tour an einem anderen Ort erzählte uns ein Nachbar, er hätte ein ebensolches Sweatshirt, welches er gerade anhatte, auch auf der Straße gefunden und mit Bleiche gebatikt, um es zu personalisieren.
Ein gemeinsames Empfinden der Besucher:innen der “Dresserie” und “En Plein Air” war das Bedürfnis, nach der Pandemie wieder zu “shoppen”, doch ohne das schlechte Gewissen. Ein Nachbar reservierte einen roten Bademantel und eine blaue Velours- Jogginghose zum späteren Tausch, kam dann aus seinem “Palast” mit Parkblick mit einer Tasche Hemden und Jacken zurück, sowie einem Tablett mit Kaffee. Die Ansammlung von Vermögen bringt nur Kummer, philosophierte er über eine Bekanntschaft – stattdessen verfolge er weniger Besitz und mehr Gelegenheiten zum nachbarschaftlichen Austausch.
Aïcha Abbadi in Begleitung einer Besucherin. // Alle fotos © paolo gallo